Dass die Geburt der größte Orgasmus im Leben einer Frau sei, diese Legende muss ein Mann in die Welt gesetzt haben, und wahrscheinlich einer, der noch nicht selbst dabei war. Sie ist natürlich Unsinn. Jede natürliche Geburt ist wahnsinnig anstrengend und kein Spiel. Trotzdem ist es normal und richtig, ein Kind auf diese Weise zur Welt zu bringen.
Dieses vorangestellt, soll es aber in diesem Text um den Kaiserschnitt gehen, wann er notwendig ist, wann hilfreich, wann er nicht durchgeführt werden sollte. Eigentlich sind das viele einzelne Themen, wir werden im Lauf der Zeit im BabyCare-Blog auf alle diese Themen nach und nach im Einzelnen eingehen, von der Querlage bis zu der Gesundheit der Babys nach einem Kaiserschnitt. Auf dem FOKO 2021, einem der größten Fortbildungskongresse für Frauenärztinnen und -ärzte in Deutschland, stellte Prof. Dr. med. Frank Louwen, Frankfurt, Präsident der Deutschen Stiftung Frauengesundheit, jedenfalls die neuen, evidenzbasierten Leitlinien zur natürlichen Geburt und zum Kaiserschnitt vor. Wir versuchen in diesem Blog ein Fazit.
Inhaltsverzeichnis
Querlage – natürliche Geburt unmöglich
Es gibt Situationen, in denen eine natürliche Geburt von vornherein überhaupt gar nicht möglich ist: Wenn das Baby quer oder schräg liegt, nicht in eine Schädellage gewendet werden kann und dadurch nicht in das Becken eintritt. Auch wenn sich die Plazenta so eingenistet hat, dass sie direkt vor dem Muttermund, also vor dem Ausgang der Gebärmutter, liegt, kann eine natürliche Geburt nicht funktionieren. Denn wenn sich während der Geburt der Kopf des Babys durch diese Öffnung hindurchschieben würde, könnte dies zu einer verheerenden Blutung führen. In beiden Fällen hätten die Frauen und auch die Kinder früher bei natürlichen Geburten höchstwahrscheinlich nicht überlebt.
Manchmal ist die Mutter auch krank, und eine natürliche Geburt würde bedeuten, dass die Krankheit sich ganz akut verschlimmert. Das kann zum Beispiel bei schwerem Bluthochdruck der Fall sein (siehe unseren Blogbeitrag zur Präeklampsie). Oder bei schweren Herz- oder Lungenerkrankungen, sehr selten auch bei einer einem viel zu kleinen knöchernen Becken. Oder wenn die Gebärmutter bereits früher operiert wurde und die Gefahr besteht, dass alte OP-Narben reißen.
Der Wehenschreiber zeigt an, ob es dem Baby noch gut geht
Es gibt auch Situationen, in denen mit Hilfe des Herz-Ton-Wehenschreibers (CTG) oder auch bei den Ultraschall-Untersuchungen festgestellt wird, dass die Versorgung des ungeborenen Babys nicht mehr gut ist, und die Geburt per Kaiserschnitt vorzuziehen ist, um es nicht zusätzlich dem Geburtsstress auszusetzen. Manchmal darf man dann auch mit Rücksicht auf das gefährdete Kind keinen Wehentropf anhängen, um die Geburt einzuleiten.
In all diesen Fällen ist völlig eindeutig, dass nur ein Kaiserschnitt eine sinnvolle Methode der Geburt ist. Man spricht hier von lebenswichtigen Gründen für einen Kaiserschnitt, im Fachbegriff „vitale Indikationen.“ Es gibt aber auch noch weitere Gründe, wann es mit einer natürlichen Geburt zwar nicht unmöglich, aber schwierig werden kann.
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Steißlage – oft ist ein Kaiserschnitt für das Kind schonender
Zum Beispiel wenn das Baby mit dem Gesäß nach unten liegt, statt mit dem Kopf. Es handelt sich dann um eine so genannte Becken-End-Lage oder auch Steißlage. Hier wird man zunächst prüfen, ob eine äußere Wendung in Schädellage möglich nicht. Falls dies nicht gelingt, muss geklärt werden, ob eine natürliche Geburt mit dem Gesäß zuerst infrage kommt. Dies erfordert viel Erfahrung in der Ultraschalldiagnostik und in der Geburtsleitung, sofern sich die Mutter für eine natürliche Geburt entscheidet. Der anspruchsvollste Moment der Geburt ist die Geburt der Schultern und insbesondere des Kopfes. Falls es in dieser Phase der Geburt Verzögerungen gibt, bedarf es besonderer Handgriffe, Erfahrung und Geschick des Geburtshelfers, um insbesondere einen Sauerstoffschaden abzuwenden. Wenn die Geburtshelfer hier nicht sehr viel Erfahrung und Übung haben, kann das dazu führen, dass es mitten in der Geburt zu einer typischen Komplikation kommt: Das Gesäß und die Füße des Babys sind schon geboren, aber die breitere Schulter und der Kopf stecken noch fest, und beim Herausziehen der Schultern kann es zu Verletzungen der Nerven oder einem Sauerstoffmangel kommen. Deshalb lassen sich viele Kliniken gar nicht erst auf natürliche Geburten bei einer Beckenendlage ein, sondern empfehlen gleich den Kaiserschnitt.
Ein weiterer Grund kann sein, dass der Kopf des Babys und das ganze Baby ziemlich groß sind (man spricht hier von Makrosomie) und befürchtet wird, dass es nicht ohne Komplikationen durch das Becken der Mutter hindurch geboren werden kann. Das ist heute in Deutschland eine ziemlich häufige Situation. Hier ist eine natürliche Geburt zwar möglich. Aber durch den großen Kopf kann die Geburt deutlich länger dauern, und das bedeutet, dass das alles anstrengender wird als geplant, und dass die Frau irgendwann völlig entkräftet ist und nicht mehr kann. Oder dass durch die Geburt der Beckenboden so stark überdehnt wird, dass er sich nach der Geburt nicht mehr ganz erholen wird. Wenn eine solche Situation abzusehen ist, dann kann es sinnvoll sein, von vornherein über einen Kaiserschnitt nachzudenken, bevor der Versuch der natürlichen Geburt mittendrin abgebrochen werden muss.
Kaiserschnitt macht weniger Angst
Und es gibt noch eine weitere Konstellation, die in den Kliniken nicht ganz selten ist: Eine Frau hatte schon eine Geburt, die sie als sehr schmerzhaft und schlimm in Erinnerung hat, und will das auf keinen Fall noch einmal erleben. Oder sie hat einfach Angst davor, was mit ihr bei einer Geburt passieren wird und möchte das quasi unbemerkt hinter sich bringen. Auch eine solche Angst vor der Geburt kann ein Grund sein, dass sie um einen Kaiserschnitt bittet.
Kaiserschnitt auf Wunsch
Was aber in den neuen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe strikt abgelehnt wird, das sind sogenannte Wunsch-Kaiserschnitte. Ein Kaiserschnitt zu einem bestimmten Datum, das sich nach dem Terminkalender des Vaters oder nach dem gewünschten Geburts-Horoskop richtet.
Hinter sogenannten Wunschkaiserschnitten sind nicht selten ernste Beweggründe verborgen. Diese sind beispielsweise, Angst vor Schmerzen und vor Kontrollverlust, Beckenbodentraumata, spätere Inkontinenz, Veränderungen des Sexuallebens und auch vor Sauerstoffmangel des Kindes. Daher sollte der Begriff mit großer Vorsicht verwendet werden und ein eingehendes Gespräch über die Beweggründe der Mutter für einen vorbeugenden Kaiserschnitt geführt werden. Vor- und Nachteile sollten individuell in einem Beratungsgespräch abgewogen werden.
Der Kaiserschnitt hat als Operationsmethode eine sehr niedrige Komplikationsrate. Deshalb hält man den Eingriff für relativ harmlos. Ein Kaiserschnitt hat bis auf einige wenige Aspekte auch keinen Einfluss auf die Gesundheit des Kindes. Der primäre Kaiserschnitt wird heutzutage mit 39 vollendeten Schwangerschaftswochen durchgeführt, dadurch kommt es praktisch nicht mehr – wie früher – zu Anpassungsstörungen durch das sogenannte „feuchte Lunge“-Problem.
Und die nächste Schwangerschaft?
Probleme können allerdings bei der nächsten Schwangerschaft und Geburt auftreten. Denn viele Frauen bekommen in Deutschland nicht nur ein, sondern später noch ein zweites und gelegentlich auch drittes Kind. Und wenn ein Kaiserschnitt durchgeführt wurde, hat die Gebärmutter inwendig eine Narbe. Solche Narben sind nicht so gut dehnbar wie das gesunde Gewebe und können bei dem Versuch einer natürlichen Geburt nach vorausgegangenem Kaiserschnitt reißen. Das andere Problem ist, dass sich die Plazenta, der Mutterkuchen, auch auf vorhandenen Narben einnisten und mit der Narbe verwachsen kann. Es kann dann sehr problematisch und schwierig sein, nach der Geburt die Plazenta aus der Wand der Gebärmutter zu lösen und im schlimmsten Falle treten hierbei starke Blutungen auf bis hin zu der Notwendigkeit, die Gebärmutter zu entfernen.
Die Probleme mit der Narbe und der Plazenta in den Folgeschwangerschaften nach einem vorangegangenen Kaiserschnitt sind für Geburtsmediziner*innen der wirkliche Grund, einen Kaiserschnitt ohne medizinische Begründung häufig abzulehnen.
Die Kaisergeburt
Nicht „Kaiserschnitt“, sondern „Kaisergeburt“ nennt Prof. Dr. med. Wolfgang Henrich, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin an der Charité Berlin (CVK, CCM) das Vorgehen, das in diesem kurzen Film gezeigt wird (Link öffnet im neuen Fenster).
Die Mutter ist wie bei den herkömmlichen Kaiserschnitten in einer regionalen Betäubung, d.h. bei Bewusstsein; die Schmerzempfindung wird unterhalb des Rippenbogens ausgeschaltet. Das trennende OP-Tuch zwischen dem Oberkörper der Mutter und dem Operationsbereich wird bei der Geburt des Kindes herabgelassen, sodass die Mutter mit ihrer Begleitperson den ersten Moment der Geburt des Kindes erleben kann. Die Mutter kann sehen, wie die Ärztinnen und Ärzte das Baby vorsichtig aus ihrem Bauch herausholen. Der Vater darf die Nabelschnur durchtrennen und das Kind wird unmittelbar danach zum frühen Hautkontakt auf den wärmenden Oberkörper der Mutter gelegt. Dies ermöglicht ein unmittelbares „Bonding“ und die frühzeitige Möglichkeit zum Stillen. Der Saugreflex führt zusätzlich zum Zusammenziehen der Gebärmuttermuskulatur. Messen und Wiegen des Kindes erfolgen erst nach Beendigung der Operation. „Gerade wenn keine natürliche Geburt erfolgen kann“, so Henrich, „dann ist dieses Vorgehen ein kleiner Ersatz, weil wir – so gut es unter diesen Bedingungen geht – den natürlichen Geburtsvorgang imitieren.“ Dieses familienorientierte Operationsverfahren führt zu einer deutlich höheren Zufriedenheit der Paare gegenüber den traditionellen Kaiserschnitten.
Autoren: Prof. Dr. Wolfgang Henrich, Dr. med. Susanna Kramarz und Dr. Renate Kirschner
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📅 Letzte Änderung am: 23. September 2024