Wie man mit Laborwerten schon Wochen vor der Geburt erkennen kann, ob das Leben von Mutter und Kind in Gefahr ist.
Die ganz große Mehrzahl der Schwangeren bringt nach ca. 40 Wochen eine gesundes Kind zur Welt, ohne dass es im Verlauf der Schwangerschaft oder unter der Geburt zu größeren Problemen oder Komplikationen gekommen ist. Für etwa jede zehnte Schwangerschaft gilt das leider nicht. Hier treten Komplikationen auf, manchmal nur leicht, manchmal auch schwerer. Eine Komplikation, die besondere Aufmerksamkeit braucht, stellt die Präeklampsie dar, die etwa ab der 20. Schwangerschaftswoche mit einer Blutdruckerhöhung und vermehrter Eiweißausscheidung im Urin beginnt. Etwa 2 bis 5% aller Schwangeren sind zumindest von leichten Formen dieser Erkrankung betroffen, bei der die Plazenta nicht mehr ausreichend durchblutet wird, was zu einer Unterversorgung des Kindes führen kann. Schreitet der Prozess fort, so kann sehr schwerwiegende Folgen für Mutter und Kind haben. Doch es gibt Möglichkeiten der Früherkennung in der frauenärztlichen Schwangerenvorsorge und die Möglichkeit einer gezielten Vorbeugung.
Wie kommt es eigentlich, dass sich an der Kontaktstelle zwischen Gebärmutter und dem befruchteten Ei innerhalb kürzester Zeit die Plazenta ausbildet – ein Organ voller Blutgefäße, Immunzellen und einem zuverlässigen Grenz- und Filtersystem? Viele Faktoren sind dabei beteiligt, unter anderem Enzyme, Botenstoffe und Hormone, die man auch aus anderen Zusammenhängen kennt, und die zum Beispiel nach Verletzungen, nach Gewebeschäden wie einem Herzinfarkt oder bei Tumorerkrankungen eine Rolle spielen, wenn es darum geht, dass irgendwo neue Blutgefäße gebraucht werden. Denn in allererster Linie ist die Plazenta ein Organ, das aus Blutgefäßen besteht. Möglichst ungehindert soll das Blut mit all den wichtigen Nährstoffen zum Baby gelangen, und möglichst ungehindert auch vom Baby wieder in den Kreislauf der Mutter zurück.
Einer der wichtigen Faktoren ist ein Protein mit dem Namen „Plazenta-Wachstums-Faktor“, auf Englisch Placenta Growth Factor, abgekürzt PlGF. Er wird in den Ernährungszellen der Plazenta gebildet und unbedingt gebraucht, um funktionierende neue Blutgefäße in der Plazenta entstehen zu lassen. Und dann gibt es Transportproteine, die andere Stoffe im Blut oder im Gewebe an sich binden, von hier nach da bringen und dann auch wieder loslassen. Das wichtige Transportprotein, auf das sich PlGF aufsetzt wie ein Reiter auf sein Pferd, hat den blumigen Namen „Lösliches Bewegungsenzym Nummer 1 für Moleküle, die Tyrosin enthalten, und das ähnlich aussieht wie ein Enzym, das bei einen Katzenkrebs vorkommt“. Die Langfassung auf Englisch heißt „Soluble Feline McDonough Sarcoma like tyrosine kinase-1“, abgekürzt SFlt-1. PlGF, der oben beschriebene wichtige Wachstumsfaktor für die Blutgefäße in der Plazenta, lässt sich zwar von SFlt-1 durch die Gegend tragen. Aber er kann nur arbeiten, wenn er von seinem Pferd steigt.
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Pferde und Reiter zählen
Pferd und Reiter – und zwar diejenigen, die zu Fuß unterwegs sind –, beide können heute bestimmt werden und zeigen an, wie es um die Blutgefäße in der Plazenta bestellt ist. Und das geht so: PlGF, der „Reiter“, ist ein sehr kleines Molekül[1]. Seine Normalwerte liegen in der Mitte der Schwangerschaft bei 700 Pikogramm pro Milliliter, um die 30. Woche herum bei 1000 Pikogramm pro Milliliter Blut. SFLT-1, das Pferd, besteht aus mehreren Bausteinen und ist viel schwerer[2]. Beide Werte werden gemessen, sagen aber allein noch gar nichts. Erst wenn man Reiter und Pferde zueinander in ein Verhältnis setzt, wird ein Schuh daraus. Denn werden im Blut relativ wenige Pferde gefunden, aber viele „herumlaufende“ Reiter, dann weiß man, dass genug Reiter bei der Arbeit sind, dass also genug Blutgefäß-bildende Proteine in der Plazenta vorhanden sind, um neue und funktionierende Blutgefäße zu bilden. Dann sieht es gut aus mit der Durchblutung und auch mit der Funktion der Plazenta, und man kann sich ziemlich sicher sein, dass es in der nächsten Woche nicht zu einer ganz dramatischen Verschlechterung kommen wird.
Werden umgekehrt im Blut deutlich mehr Pferde gefunden als Reiter, die zu Fuß unterwegs sind, dann kann das entweder bedeuten, dass die Reiter keine Lust haben, aus dem Sattel zu steigen oder dass es einen Reitermangel gibt. Und das wiederum kann bedeuten, dass die Neubildung von funktionierenden Blutgefäßen in der Plazenta gestört ist.
Sirenen schrillen, und dann droht der Blitzschlag
Wenn in der Plazenta nicht ständig immer weiter neue Blutgefäße gebildet werden, um das wachsende Baby zu versorgen, schrecken Rettungssysteme auf und lassen im Gehirn Sirenen schrillen, weil das Baby mehr Blut, mehr Nährstoffe und mehr Sauerstoff braucht als es bekommt. Und dann erhöht das Kreislaufzentrum im Gehirn den Blutdruck, damit durch die wenigen funktionierenden Blutgefäße in der Plazenta das Baby weiterhin einigermaßen versorgt wird. Je länger die Schwangerschaft fortschreitet, und je mehr Nährstoffe und Sauerstoff das Baby braucht und nicht bekommt, umso stärker kreischt der Alarm, umso mehr und mehr steigt dann der Blutdruck. Diese Dramatik entwickelt sich innerhalb weniger Tage. Und irgendwann kommt der Moment, an dem der Blutdruck ohne ärztliches Eingreifen über 200, über 300 mm Hg ansteigen würde, bis es für die Mutter lebensgefährlich wird. Solche Ereignisse wurden bei den alten Griechen „Blitzschlag“ genannt, oder „Eklampsia“. Der Begriff hat bis heute überlebt. Bei 5 bis 7% aller Schwangeren steigt in der Schwangerschaft der Blutdruck, und bei der Hälfte der Schwangeren entwickelt sich daraus eine Präeklampsie entwickelt. Sie ist bis heute eine der häufigsten Ursachen dafür, dass eine Frau während der Geburt stirbt, und ist ein wichtiger Grund für Mangel- und Frühgeburten.
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Ross und Reiter messen – heute eine Kassenleistung
Bis heute kann man – jedenfalls kurzfristig – nichts gegen die Ursachen der Eklampsie unternehmen. Aber immerhin weiß man seit den Erkenntnissen über die Blutgefäße in der Plazenta inzwischen überhaupt, warum sich bei manchen Frauen im Lauf der Schwangerschaft der Blutdruck so irrsinnig steigert und seit einigen Jahren kann man auch Ross und Reiter im Labor messen; ja seit einem Jahr wird diese Laboruntersuchung sogar von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass eine solche Störung vorliegen könnte.
Liegt das Verhältnis von Pferden zu Reitern, also von SFlT-1 und PlGF unter 38 – wobei das „Gewicht“ dieser Moleküle gemessen wird, nicht die tatsächliche Anzahl der Moleküle –, dann muss in der nächsten Woche nicht damit gerechnet werden, dass sich eine Eklampsie entwickelt oder eine Vorstufe davon, eine Prä-Eklampsie. Liegt das Verhältnis darüber, dann bedeutet das noch nicht, dass die Frau definitiv an einer Präeklampsie erkranken würde. Die Frauenärzte und Geburtshelfer würden dann aber die Entwicklung regelmäßig kontrollieren. Ist der Quotient sehr hoch – vor der 35. Schwangerschaftswoche ist ein Wert von über 85 auffällig, in den noch späteren Wochen ein Wert über 110 – dann liegt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine Präeklampsie vor. Dann muss unbedingt und sehr schnell gehandelt werden.
Warum die Senkung des Blutdrucks hier nicht funktioniert ….
Das große Problem ist, dass es bei dieser Krankheit nicht sehr wirkungsvoll ist, den ansteigenden Blutdruck mit Blutdrucksenkern zu bekämpfen. Das führt nur dazu, dass aus der Gebärmutter umso stärkere Signale ausgesendet werden, dass das Baby in einer Mangelsituation ist. Die einzige ursächliche Therapie, die dann auch wirklich schlagartig und innerhalb von Minuten hilft, ist die Beendigung der Schwangerschaft – oft mit einem Kaiserschnitt.
Die Erkenntnisse rund um diese schwere Plazenta-Krankheit, die das Kind und die Mutter in Gefahr bringt, sind noch sehr frisch. Deshalb wurde dem Thema soeben auf dem größten Kongress für die wissenschaftliche Frauenheilkunde, den es in Deutschland gibt, dem DGGG-Kongress 2020, eine ganze Reihe von Vorträgen und Diskussionen gewidmet.
Ganz klar, so fasste Prof. Dr. med. Tanja Grothen aus Dresden am letzten Kongresstag alle Referate rund um die Präeklampsie zusammen, sollten heute ab der 24. Schwangerschaftswoche bei denjenigen Frauen Ross und Reiter bestimmt werden, die ein Risiko für eine solche Plazenta-Erkrankung haben. Das ist dann der Fall, wenn
- das ungeborene Baby zu langsam wächst, oder
- ein Bluthochdruck schon vor der Schwangerschaft bestanden hat oder sich während der Schwangerschaft entwickelt, oder
- wenn es in einer früheren Schwangerschaft schon zu einer Präeklampsie gekommen ist, oder
- eine Untersuchung der Blutversorgung und Durchblutung in den Arterien der Gebärmutter (Dopplersonografie der Arteriae uterinae) auffällige Ergebnisse hatte, oder
- es Zeichen für einen beginnenden Nierenschaden oder eine sonstige Schädigung gibt, für die es sonst keine Erklärung gibt.
Die Krankenkassen zahlen in diesen Fällen die Kosten für eine einmalige Diagnostik und für bis zu zwei Folge-Untersuchungen.
Wenn bereits in den frühen Wochen der Schwangerschaft bekannt ist, dass ein Risiko für eine Präeklampsie besteht, dann ist das diagnostische Vorgehen anders. Aber davon soll in diesem Blog ein anderes Mal berichtet werden.
Autorin: Dr. med. Susanna Kramarz
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[1] Durchschnittliches Molekulargewicht = 34-40 kDA
[2] Durchschnittliches Molekulargewicht = 100-150 kDa, wobei sich meistens Dreierkomplexe bilden mit einem Molekulargewicht von 400-550 kDa.
📅 Letzte Änderung am: 12. März 2023