
Vor fünfzig Jahren war er Routine, dann kam er in Verruf: Wirkungslos, reich an Komplikationen, schlechte Idee. Der Verschluss des Muttermunds, um eine Frühgeburt zu verhindern, hat eine aufregende Geschichte hinter sich. Heute weiß man: Frühzeitig und richtig angewendet kann diese Maßnahme eine Schwangerschaft um viele Wochen verlängern. Welche Varianten es gibt und was das für die Schwangerschaft und für die werdende Mama bedeutet, soll in diesem Blogbeitrag erzählt werden.
Vom 7. bis 10. Oktober 2020 fand in München– als Hybridkongress mit wenigen Teilnehmern vor Ort, aber tausenden vor den Bildschirmen – der 63. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe statt, der größte wissenschaftliche Kongress für die ganze Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Deutschland. Auch der „alte Hut“ Muttermundverschluss – oder auch Cerclage (sprich Zerklahsche) genannt, war Thema einer wissenschaftlichen Sitzung, und es gab keinen Widerspruch: Das ist wichtig, das ist sinnvoll, das hilft. Die teilweise schlechten Ergebnisse und Komplikationen von früher kamen vor allem dadurch zustande, dass Infektionen in der Vagina bestanden, die damals noch nicht für wichtig gehalten wurden, oder dass bereits Wehen eingesetzt hatten, die nicht mehr aufgehalten werden konnten. In beiden Fällen stellte der verschlossene Muttermund eine wirklich gefährliche Situation dar für die Mutter und auch für das Baby.
Am Anfang stehen aber immer einige Fragen. Deutet irgendetwas darauf hin, dass es zu einer Frühgeburt kommen könnte? Gibt es Anzeichen für eine Infektion? Ist die Fruchtblase geplatzt? Treten schon vorzeitige Wehen auf? Es gibt seit kurzem eine wissenschaftliche Leitlinie, in der es um die Vorbeugung der Frühgeburt gibt. Auch der Muttermundverschluss kommt darin vor. Einer der Autoren der Leitlinie, Privatdozent Dr. Dr. Yves Garnier aus Osnabrück, stellte wichtige Punkte aus dieser Arbeit auf dem Kongress vor und betonte, welche guten Dienste die Cerclage leisten kann, vorausgesetzt man macht alles richtig. Ob dabei ein ringförmiges Pessar auf den Muttermund gesetzt wird oder der Eingang der Gebärmutter mit Fäden verschlossen wird, die vor der Geburt wieder gelöst werden, das hängt ganz von der jeweiligen Situation ab.
Inhaltsverzeichnis
Muttermund verschlossen? Ideal sind 5 Zentimeter
Im Normalfall ist die Gebärmutter durch einen sehr starken, ringförmigen Muskel die ganze Schwangerschaft hindurch sehr fest verschlossen. Dieser Muskel wird Gebärmutterhals genannt (im Fachbegriff Zervix). Sein unteres Ende ragt in die Vagina hinein und wird Muttermund genannt. Im Ultraschall kann man sehr gut messen, wie lang die geschlossene Strecke dieses Muskels ist. Die ganze Schwangerschaft hindurch sollte sie bei 3 bis 5 cm liegen. In den letzten Wochen der Schwangerschaft wird der Muskel so stark belastet, dass er sich allmählich von seinem inneren Ende her aufdehnt. Die verschlossene Strecke wird dadurch kürzer. Wenn dann die Wehen beginnen, öffnet sich der Muskel nach und nach vollständig und wird letztlich von Wehe zu Wehe so lange gedehnt, bis das Baby durch die Öffnung passt.
Es gibt einige Gründe, warum sich der Gebärmutterhals verkürzen kann. Eine häufige Ursache sind frühere Operationen am Gebärmutterhals. Solche Operationen, Konisation genannt, werden notwendig, wenn in der jährlichen Früherkennung eine Vorstufe von Gebärmutterhalskrebs entdeckt wird. Diese Zellen müssen entfernt werden, bevor sie in die Tiefe des Gewebes eindringen und großen Schaden anrichten können. Dadurch wird aber der Gebärmutterhals schwächer. Keime können leichter in die Gebärmutter aufsteigen, und es kommt häufiger zu einem vorzeitigen Blasensprung und doppelt so häufig zu einer Frühgeburt wie bei Frauen ohne eine Konisation.
Infektionen sind ein wichtiger Grund für Frühgeburten
Infektionen sind ohnehin ein wichtiger Grund für Frühgeburten, und zwar sowohl Entzündungen der Harnblase als auch Entzündungen in der Vagina durch Bakterien oder Pilze. Denn bei solchen Infektionen besteht die sehr große Gefahr, dass Keime durch den Gebärmutterhals zur Fruchthöhle gelangen und sich dort vermehren. Die Mutter bekommt dann Fieber, und der Körper zieht die Notbremse und leitet sofort die Wehen ein, bevor die Situation für die Mutter lebensbedrohlich wird. Solche unentdeckten Infektionen waren früher auch einer der häufigsten Gründe, warum es mit der Cerclage nicht klappte: Hatte man die aufsteigenden Keime übersehen, dann kam es trotz des Verschlusses des Muttermunds zu starken Wehen, die nicht mehr gestoppt werden konnten und letztlich drohten, die Gebärmutter zu zerreißen, wenn nicht sofort der Verschluss geöffnet wurde. Wird heute eine Cerclage gelegt, dann ist Keimfreiheit das alleroberste Gebot. Ist der Muttermund schon verkürzt, dann werden auch Antibiotika gegeben, um damit Bakterien zu bekämpfen, die vielleicht schon in geringer Zahl bis zur Fruchthöhle vorgedrungen sind.
Ein weiterer wichtiger Grund, den Muttermund zu verschließen, sind frühere Fehl- und Frühgeburten, wobei es hier die ganze Schwangerschaft hindurch besonders wichtig ist, mögliche Infektionen sehr frühzeitig zu entdecken und zu behandeln.
Auch bei Zwillingsschwangerschaften wird der Muttermund oft frühzeitig verschlossen, was die Gefahr von Frühgeburten erheblich verringern kann.
Tipp: Jetzt noch mehr wissenschaftlich gesicherte Informationen erhalten!
Wir unterstützen Sie dabei, ihr Leben während der Schwangerschaft gesund zu gestalten, mögliche Risiken zu minimieren oder ganz zu vermeiden. Damit Sie nach neun Monaten ein gesundes Baby zur Welt bringen. BabyCare ist bei rund 70 Krankenkassen in Deutschland kostenfrei erhältlich!
Zum Muttermundverschluss gehört oft auch die Schonung
Wenn der Muttermund verschlossen wird – entweder durch eine Operation oder auch durch das Aufsetzen eines Pessars –, dann gibt es noch zwei weitere Maßnahmen, die den Erfolg sicherstellen: Zum einen wird der Frau oft empfohlen sich zu schonen. Normale tägliche Aktivitäten und Sport sind bei einer Schwangerschaft eigentlich sehr wichtig. Wenn es aber bereits Anzeichen dafür gibt, dass der Körper auf vorzeitige Wehen und eine Frühgeburt eingestellt ist, dann würde körperliche Anstrengung diesen Impuls verstärken. Wenn sich die Situation am Muttermund beruhigt hat und keine Wehen mehr auftreten, kann oft der Alltag wieder aufgenommen werden.
Progesteron stellt die Gebärmutter ruhig
Die zweite Maßnahme ist eine Hormongabe: Das Hormon Progesteron ist das natürliche Schwangerschaftshormon. Es stellt die Muskulatur der Gebärmutter ruhig und festigt den Muttermund. Progesteron kann in seiner natürlichen Form als Arzneimittel hergestellt werden und entweder als Zäpfchen in die Vagina eingeführt werden oder auch als Tropf gegeben werden. Vielfach wird der Schwangeren empfohlen, das Progesteron-Zäpfchen bis zur 37. Woche regelmäßig selbst anzuwenden. Danach wird mit der Behandlung aufgehört, der Muttermund eröffnet und abgewartet, bis die natürliche Geburt beginnt.
Nicht mehr aufzuhalten ….
Hat die Geburt erst einmal angefangen, und haben Wehen eingesetzt, dann kann eine Geburt selbst durch einen Wehenhemmer-Tropf nur noch ganz kurze Zeit aufgehalten werden. Manchmal nutzt man aber diese Möglichkeit, wenn das Baby noch sehr klein ist, und wenn seine Lunge noch nicht ausreichend entwickelt ist. Es wird der Mutter dann häufig ein Arzneimittel gegeben, um in letzter Sekunde die Reifung der Lunge zu beschleunigen. Bei echten Wehen, die man im Wehenschreiber gut von einfachen Kontraktionen unterscheiden kann, muss der Muttermund wieder eröffnet werden. Privatdozent Dr. Dr. Yves Garnier berichtete aus seiner eigenen Geburtsklinik, dass dort inzwischen bei Frauen, die bereits zwei oder mehr Früh- oder Fehlgeburten hatten, sehr früh ein vollkommener Muttermundsverschluss unter völliger Keimfreiheit vorgenommen wird. Normalerweise liegt die Gefahr für eine weitere Früh- oder Fehlgeburt nach zwei oder mehr vergeblichen Anläufen je nach Alter der Schwangeren bei 22 bis über 65 Prozent. In der Oldenburger Klinik bringen 86 Prozent dieser Frauen ihre Schwangerschaft zu einem guten Ende und können die Klinik glücklich mit ihrem Baby verlassen.
Autorin: Dr. med. Susanna Kramarz
Bild-Copyright © Kateryna Upit / shutterstock
Quellen:
63. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Wissenschaftliche Sitzung „Die drohende Frühgeburt: besondere Fälle aus der Praxis“, Freitag, 9.10.20. www.dggg2020.de
AWMF-Leitlinie Prävention und Therapie der Frühgeburt https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-025.html
AWMF-Leitlinie Diagnostik und Therapie von Frauen mit wiederholtem Spontanabort https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015-050.html
📅 Letzte Änderung am: 12. März 2023