Immer wieder kommen zu Fragen und Diskussionen über einen wissenschaftlichen Artikel auf, der unlängst im British Medical Journal publiziert wurde. E.M. Boyle et al: Effects of gestational age at birth on health outcomes at 3 and 5 years of age: population based cohort study; BMJ 2012;344:e896 doi: 10.1136/bmj.e896
In dieser Studie wird die Inanspruchnahme von Krankenhäusern von Kindern im Alter von 9 Monaten und 3 sowie 5 Jahren in Abhängigkeit von der Schwangerschaftswoche (SSW), in der die Geburt stattfand, untersucht. Dabei wurden – nicht wie sonst üblich – die Frühgeburten (Geburt vor der 37.SSW) mit den Nichtfrühgeburten verglichen, vielmehr die Nichtfrühgeburten nochmals in zwei Gruppen unterteilt. Die erste dieser Gruppen umfasst Kinder, die in der 37. bis 38. SSW geboren (in der Studie auch early terms genannt) wurden, die zweite, alle die ab der 39.SSW geboren wurden. Die Frühgeburten wurden – wie auch sonst üblich – in drei Gruppen (unter der 32. SSW, 32.-33. SSW und 34.-36.SSW) unterteilt.
Das zentrale Ergebnis ist: „The population attributable fractions associated with moderate/late preterm and early term birth were larger than those for very preterm birth: 5.7% and 7.2% compared with 3.8% for having at least three hospital admissions between 9 months and 5 years…”
Das Ergebnis wird nun dahingehend missverstanden, dass die Inanspruchnahme von Krankenhäusern durch frühe Termingeburten (37. und 38. SSW) höher ist als bei Frühgeburten. Dies ist natürlich nicht der Fall.
Insgesamt werden 484 der 12583 untersuchten Kinder zwischen dem 9. Lebensmonat und dem 5. Lebensjahr 3 mal und häufiger in ein Krankenhaus aufgenommen, das sind 484/12583= 3,8%. Erwartungsgemäß ist die Krankenhausinanspruchnahme umso höher, je niedriger die Schwangerschaftswoche der Geburt ist. Sehr früh Geborene (<32 SSW) haben zu 14,3% diese Krankenhausinanspruchnahme, die in der 39. SSW und später geborenen nur zu 3,2%. Tatsächlich ist auch die Inanspruchnahme von Krankenhäusern unter Kindern, die in der 37. und 38. SSW geboren wurden mit 4,8% bereits um 50% höher als bei den in der 39. SSW und später Geborenen. Dies zeigt das sogenannte ODDS-Ratio mit einem Wert von 1,5. Die Krankenhausinanspruchnahme verdoppelt sich in der Gruppe der in 34.-36. SSW Geborenen (ODDS-Ratio: 2,0) um in der Gruppe der sehr früh Geborenen um den Faktor 6 zu steigen.
Dies ist alles plausibel und auch für den statistisch nicht versierten Leser nachvollziehbar. Dennoch sind die Aussagen der Studie nicht falsch. Diese betrachtet die Daten jedoch nicht aus der Sicht z.B. der Schwangeren, sondern auch der Sicht des Gesundheitssystems mit der Frage, welche der Gruppen am stärksten zur Krankenhausinanspruchnahme „beiträgt“. Da die in der 37. und 38. SSW Geborenen unter den Vergleichsgruppen geringerer Schwangerschaftsdauer mit 2563 Fällen die größte Gruppe darstellen, kann das Ergebnis nicht anders ausfallen. Auch wenn die Krankenhausinanspruchnahme dieser Gruppe viel geringer ist als die der „echten“ Frühgeburten, werden durch diese viel mehr Betten belegt, einfach weil die Gruppe größer ist. Alle Schwangeren und werdenden Eltern können dies jedoch vergessen.
Insgesamt zeigen die Daten aber deutlich, dass Frühgeborene in den ersten 9 Lebensjahren häufiger krank sind und häufiger und intensiver im Krankenhaus behandelt werden müssen. Dies gilt schon für die in der 34.-36. SSW Geborenen, von den häufig gesagt wird, dass es sich dabei nicht „wirklich“ um Frühgeburten handelt.
Dr. Wolf Kirschner
Foto: (c) Sanjasy/pixabay.com
📅 Letzte Änderung am: 12. März 2023