Gewalt in der Schwangerschaft: Schlagen ist nicht normal

Unwetter über Feld

Die Schwangerschaft ist für eine Partnerschaft eine besondere Zeit, ganz besonders beim ersten Kind. Es bedeutet, dass aus dem Paar Eltern werden. Dass sie sich für eine ganze Zeitlang nicht mehr aufeinander beziehen, sich gegenseitig in den Mittelpunkt der Beziehung stellen werden, sondern dass sie sich zusammen auf das Baby einstellen, der letzte Schritt zum Erwachsensein. Aber diese Umbrüche können auch Verlust bedeuten, Verlust an Selbständigkeit, an Freizeit, an Leichtigkeit. Schwangerschaft bedeutet für das Paar deshalb auch immer eine große Belastungsprobe, um sich im Lauf der Monate gemeinsam auf ein neues Gleichgewicht einzustellen. Meistens geht das letztlich gut aus, aber nicht immer. Manchmal wachsen Enttäuschung und Zorn, Vorwürfe und Auseinandersetzungen lassen immer weniger entspannten Alltag zu. Es ist eine gute Idee, sich bereits in einer so frühen Phase Hilfe zu holen, um wieder zueinander zu finden. Denn im ungünstigsten Fall wächst die Aggression sonst so an, dass sie stärker wird als die Selbstbeherrschung. Und hat einmal Gewalt den Weg in eine Beziehung gefunden, dann hört sie meistens auch nicht mehr auf.

Nein, das sei hier in Klarheit gesagt, es ist nicht normal zu schlagen, zu schubsen oder an den Haaren zu ziehen. Es ist nicht normal, zu drohen, zu hassen, zu terrorisieren, soviel Gewalt in einer Partnerschaft auszuüben. Eine Ehe bedeutet nicht, dass die Frau zum Besitz des Mannes wird, ihm gehört und er jedes Recht hat, sie einzuschränken, sie zu bedrohen und ihr Schmerzen zuzufügen. Das Gleiche gilt auch umgekehrt, mit dem Unterschied, dass Männer körperlich meist überlegen sind. Und dass in unserer Kultur bis vor wenigen Jahrzehnten und in anderen Kulturen manchmal bis heute Frauen erheblich weniger Rechte haben als Männer und damit meist auch weniger Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen und zu gehen.

Wenn Geduld und Gelassenheit verloren gehen

Man nennt Beziehungen „Gewalt-offen“, wenn es kein Tabu darstellt, Gewalt in irgendeiner Form anzuwenden. Das heißt nicht, dass in diesen Beziehungen von morgens bis nachts geschlagen und geschrieen wird. Aber dass die Möglichkeit besteht, dass das so passieren könnte. Auch in solchen Beziehungen geht es die meiste Zeit über friedlich und normal zu, es gibt Alltag, es gibt gemeinsame Zeit und Vertrautheit. Aber jederzeit kann die Stimmung umschlagen, kann Streit entstehen und aus dem Streit Gewalt, oftmals erst gegen Gegenstände, dann gegen die Partnerin oder seltener auch gegen den Partner.

In mindestens der Hälfte „Gewalt-offener“ Beziehungen spielt Alkohol eine Rolle, nicht nur beim männlichen Täter, sondern auch beim Opfer. Sachlichkeit, Gelassenheit, Geduld, Klarheit der Entscheidungen, Kompromissbereitschaft und Phantasie beim Lösen von Problemen, das alles geht unter Alkohol verloren, vor allem dann, wenn er zum täglichen Begleiter wird. Manchmal ist es auch umgekehrt, dass kein Ausweg gesehen wird, die Beziehung oder Ehe eine Falle ist, und dass dieses Eingesperrtsein wiederum zu verstärktem Trinken führt. Ein Teufelskreis in jeder Beziehung.

Unlösbare Konflikte und scheinbar ausweglose Lebenslagen

Lange bevor Gewalt angewendet wird, bahnt sich also die Krise an, häufen sich unlösbare Konflikte, gibt es Anzeichen dafür, dass Gespräche und Kompromisse nicht mehr helfen, dass Versöhnung oberflächlich bleibt, dass drängende Forderungen und Erwartungen im Raum stehen, die nicht erfüllt werden können. Es sind absolute Ausnahmen, dass jemand in einer länger bestehenden Beziehung quasi über Nacht zum Täter, über Nacht zum Opfer wird. Es gibt meistens eine lange Vorgeschichte von Streit, Zwang, Demütigung einerseits und Alltag, Versöhnung und Hoffnung andererseits. Oft hat das mit Kleinigkeiten angefangen, und dann hat es irgendwann nicht mehr aufgehört.

Es gibt allerdings typische Situationen, in denen jemand, der sich selbst eigentlich nicht für gewalttätig hält, die Selbstkontrolle verliert. Dazu gehören – siehe oben – reichliches Trinken, oft in Kombination damit, sich provoziert zu fühlen. Das können Banalitäten sein, die am helllichten Tag und bei Nüchternheit betrachtet kein Anlass wären, sich zu streiten. Solche typischen Situationen sind auch scheinbar ausweglose Lebenslagen, dazu gehört ein drohender Verlust über die Kontrolle des Lebens, der Verlust der Selbständigkeit, das Gefühl von zunehmender Armut und eine Benachteiligung, gegen die man machtlos ist.

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Eskalation in der Schwangerschaft

Schwangerschaften und Geburten können solche Gefühle eskalieren lassen. Durch die bevorstehende Geburt kann das Gleichgewicht in der Partnerschaft verändert werden. Die Schwangere ist körperlich weniger belastbar, befasst sich zunehmend mit der Schwangerschaft und dem Baby statt mit dem Partner. Und es steht in der nächsten Zeit bevor, dass aus dem Paar Eltern werden, mit einer ganz neuen Verantwortung, neuen Verpflichtungen, neuen Ausgaben, neuen Regeln, mit viel weniger Freizeit und Freiheit.

Es ist seit langem bekannt, dass Gewaltausbrüche in Beziehungen während der Schwangerschaft erheblich häufiger werden und dass in Beziehungen, in denen bereits Gewalt ausgeübt wird, die Schwere der Vorfälle in der Schwangerschaft zunehmen kann. Eine schwangere Frau zu schlagen und zu verletzen, das gilt in allen Kulturen auf der ganzen Welt als Tabu. Wenn ein Mann sich über dieses Tabu hinwegsetzt, dann überschreitet er eine wichtige Schwelle. Die Wiederholung ist dann nicht mehr weit. Einen zweiten Gipfel von Gewaltausbrüchen gibt es, wenn das Baby da ist, weint, versorgt werden muss und sich die Aufmerksamkeit der Mutter von ihrem Partner weg hin zu ihrem Baby richtet.

Hilfe suchen gegen Gewalt und Sucht

Um es an dieser Stelle zu wiederholen zu sagen, es gibt niemals einen zwingenden Grund, Gewalt anzuwenden. An jedem Punkt der Auseinandersetzung, des Streits, der Wut gibt es die Möglichkeit auszusteigen und neu anzufangen. Das gilt für beide, sowohl für den potentiellen Täter wie auch in aller Regel für das potentielle Opfer, solange es nicht tatsächlich eingesperrt und gefangen ist. Weggehen und Flucht sind praktisch immer möglich, zu anderen Menschen, die Schutz geben, zur Polizei, in ein Frauenhaus. Ärztinnen und Ärzte, Hebammen und auch Apothekerinnen und Apotheker kennen das Hilfenetz und die Beratungsstellen am jeweiligen Ort und wissen, wo Schutz und Unterstützung möglich sind. Genauso kann man sich an das „Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen“ – 08000 116 116 wenden, das nicht nur in der jeweiligen Situation Beratung geben kann. Die Frauen am Telefon bzw. im Chat wissen auch, wo in der Region die besten Ansprechpartner und Hilfsangebote zu finden sind.

Weniger gut ausgebaut ist das Hilfenetz für Täter. Auch männliche Partner, die fürchten, zu Tätern zu werden, können sich Hilfe und Unterstützung suchen, auch wenn das noch nicht so üblich ist. Aber bei dem „Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen“ – siehe oben können genauso auch Täter und potentielle Täter anrufen, sich Hilfe holen und sich beraten lassen, an wen sie sich in ihrer Region wenden können.

Schwieriger wird das Aussteigen oft, wenn Alkohol und Alkoholabhängigkeit mit im Spiel sind. Manchmal haben Frauen in gewalttätigen Beziehungen selbst ein Alkoholproblem, das ihnen die Energie raubt, einen Schlussstrich zu ziehen und für sich selbst zu sorgen. Manchmal führt erst die Hölle in der Beziehung dazu, dass der Alkoholkonsum aus dem Ruder läuft. Aber auch hier gibt es immer Hilfe, ebenfalls über das Hilfetelefon oder bei den vielen Hilfs-Einrichtungen für Alkoholkranke. Das was unbedingt notwendig ist, das ist die eigene Entscheidung, aus der Situation auszubrechen und einen Schluss zu machen und die Konsequenzen dafür zu tragen. Diese Entscheidung kann niemand anders einem abnehmen.

Verletzungen sollten versorgt und dokumentiert werden

Wichtig ist es bei körperlichen Verletzungen, dass diese nicht nur medizinisch versorgt werden, sondern dass sie auch fotografiert und in einem schriftlichen Protokoll festgehalten werden. Das gilt nicht nur für offene Wunden, sondern auch für blaue Flecken, Blutergüsse vom Festhalten, Brandstellen von Zigaretten und ähnliches. Selbst dann, wenn eine Frau nicht oder noch nicht vorhat, ihren Partner sofort anzuzeigen, sollte eine solche Dokumentation angefertigt werden, damit sie griffbereit ist. Das ist vor allem denn wichtig, wenn es später zu erneuter Gewalt kommt und die Gerichte zu einem sachgerechten Urteil gelangen müssen. Wenn dann mit solchen Dokumenten belegt werden kann, dass es sich um einen Wiederholungstäter handelt, dann können die Richterinnen und Richter die Situation besser einschätzen. Diese Dokumentation macht nicht die Polizei, sondern eine Ärztin oder ein Arzt. Manche Allgemeinärztinnen und -ärzte und ebenso Frauenärztinnen und -ärzte sind geschult darin, eine solche Befundung und Dokumentation durchzuführen. Noch besser ist es aber, sich an ein Institut für Rechtsmedizin zu wenden, was auch noch Tage nach dem Gewaltausbruch geht.

Nicht immer ist alles ausweglos. Manchmal ist ein Neuanfang möglich, mit neuen Regeln, ohne Suchtmittel als Flucht, mit einer neuen, gemeinsamen Verantwortlichkeit für die Partnerschaft und für das Baby, mit einer intensiven Unterstützung und Beratung am besten für beide Eltern. Voraussetzung ist, dass beide das von Herzen wollen und dass es auf keinen Fall zu einem Rückfall kommen darf. Dann kann das gelingen.

Autorin: Dr. med. Susanna Kramarz

Bild-Copyright © Clark Young / Unsplash

Wichtige Beratungs- und Hilfeangebote – deutschlandweit:

Hilfetelefon https://www.hilfetelefon.de/gewalt-gegen-frauen/haeusliche-gewalt.html
Auch per Telefon 08000 – 116 116 und Online-Chat, in 17 Sprachen

Beratungs-Portal des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
https://www.schwanger-und-viele-fragen.de/de/ in 14 Sprachen

Suchfunktion für Beratungsstellen für Schwangere in Notlagen nach Postleitzahl
https://www.familienplanung.de/no_cache/beratung/beratungsstelle-finden/

Suchfunktion für Suchtberatungsstellen nach Postleitzahl
https://www.bzga.de/service/beratungsstellen/suchtprobleme/

Telefonberatung bei Suchtproblemen mit Vermittlung an geeignete Beratungsdienste
https://www.kenn-dein-limit.de/handeln/beratungsangebote/telefonberatung/

Selbsthilfeangebote für Alkoholabhängige und ihre Angehörigen
https://www.kenn-dein-limit.de/handeln/beratungsangebote/selbsthilfegruppen/

📅 Letzte Änderung am: 14. März 2023

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