Als legale Droge ist Alkohol in vielen Gesellschaften ein selbstverständlicher Bestandteil des sozialen Lebens. Vor diesem Hintergrund fällt es einigen Frauen schwer, während der Schwangerschaft vollständig auf Alkohol zu verzichten. Epidemiologische Untersuchungen zeigen, dass in Deutschland etwa ein Drittel der schwangeren Frauen Alkohol konsumiert [1]. In vielen Fällen geschieht dies aus Unwissenheit über die möglichen gesundheitlichen Konsequenzen für das ungeborene Kind.
Inhaltsverzeichnis
Wie wirkt Alkohol auf das ungeborene Kind im Mutterleib?
Konsumiert eine Schwangere Alkohol, so gelangt dieser ungehindert über die Plazenta (= Mutterkuchen) in den Blutkreislauf des ungeborenen Kindes. Da das ungeborene Kind – im Gegensatz zum Erwachsenen – noch nicht über ausreichende Entgiftungssysteme z. B. in der Leber verfügt, sammelt sich der Alkohol in seinem Körper an. Alkohol ist ein Gift, das die Zellen des ungeborenen Kindes abtöten und die Entwicklung der Organe in drastischem Ausmaß stören kann. Besonders gefährlich ist der Alkohol für die Gehirnentwicklung. Dies zeigt sich durch ein verringertes Wachstum des Gehirns, Fehlbildungen im Gehirn, und Funktionsstörungen des Gehirns. Die Krankheit des Kindes, die durch Alkohol im Mutterleib entsteht, nennt man Fetale Alkoholspektrumstörung (FASD) [2].
Wie zeigt sich die Fetale Alkoholspektrumstörung (FASD) beim Kind?
Kinder mit FASD können ein breites Spektrum an physischen, kognitiven und psychosozialen Beeinträchtigungen (= klinische Symptome) aufweisen, die durch Alkohol in der Schwangerschaft verursacht wurden:
- Wachstumsdefizite (z. B. verringerte Körpergröße/-gewicht)
- Gesichtsauffälligkeiten (z. B. schmale Oberlippe, verstrichenes Philtrum (= Falten zwischen Nase und Oberlippe mit Kerbe dazwischen), kurze Lidspalten (= Länge des Auges vom inneren zum äußeren Augenwinkel))
- Auffälligkeiten des zentralen Nervensystems (ZNS)
- Auffälligkeiten in der Struktur des ZNS (z. B. Fehlbildungen des Gehirns, sehr kleiner Kopfumfang)
- Auffälligkeiten in den Funktionen des ZNS
- Epilepsie
- Intelligenzminderung oder kombinierte Entwicklungsstörung
- Schwere Beeinträchtigung in den Bereichen:
- Sprache
- Feinmotorik und Koordination
- Visuell-räumliche Funktionen (z. B. Mengeneinschätzung, räumliches Vorstellungsvermögen, sich örtlich zurechtfinden)
- Rechenfertigkeiten
- Lern- oder Merkfähigkeit
- Exekutive Funktionen (z. B. Planen, Konsequenzen des eigenen Handels voraussehen, Gelerntes verallgemeinern)
- Aufmerksamkeit
- Soziale Fertigkeiten oder Verhalten
Die Ausprägung dieser Symptome kann individuell sehr unterschiedlich sein, viele Symptome bleiben jedoch lebenslang bestehen und stellen eine erhebliche Belastung für die erkrankten Menschen sowie deren Familien bzw. Umfeld dar.
Je nachdem, welche Symptome das Kind zeigt, werden verschiedene Untertypen von FASD als Diagnosen gestellt [2]:
- das Fetale Alkoholsyndrom (FAS),
- das partielle Fetale Alkoholsyndrom (pFAS) und
- die alkoholbedingte entwicklungsneurologische Störung (alcohol related neurodevelopmental disorder – ARND).
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Wie häufig ist die Fetale Alkoholspektrumstörung (FASD)?
FASD gehört zu den häufigsten angeborenen, chronischen Erkrankungen und Behinderungen. In Deutschland wird die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen (Inzidenz) auf etwa 1,77 % geschätzt, während die Gesamthäufigkeit in der Bevölkerung (Prävalenz) bei circa 2,03 % liegt [3, 4]. Das bedeutet, dass in Deutschland schätzungsweise 1,3 Millionen Erwachsene und 286.000 Kinder mit FASD leben. Statistisch gesehen befinden sich in einer Gruppe aus drei Schulklassen (je 30 bis 35 Schüler*innen) etwa zwei Kinder mit dieser Erkrankung. Viele von ihnen wissen jedoch nichts von ihrer Erkrankung, da FASD häufig nicht oder erst sehr spät erkannt wird.
Warum weiß nicht jeder über die Alkoholspektrumstörung (FASD) Bescheid?
Trotz ihrer weiten Verbreitung ist die Erkrankung FASD in der Öffentlichkeitwenig bekannt. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass Alkohol gesellschaftlich als „Genussmittel“ akzeptiert ist und mögliche negative Effekte von Alkohol oft verharmlost werden. Auch das Risiko von Alkohol für das ungeborene Kind wird oft unterschätzt, verdrängt oder negiert. An FASD erkrankte Kinder weisen eine große Bandbreite an Symptomen auf, die von körperlichen Auffälligkeiten bis hin zu kognitiven und Verhaltensstörungen reicht. Diese Symptome treten auch bei anderen Erkrankungen auf, so dass die FASD mit anderen Störungen wie Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS), Autismusspektrumstörungen oder psychischen Erkrankungen verwechselt werden kann. Zudem fehlt es häufig an Wissen von Fachpersonal und damit an gezielter Aufklärung über die hohen Risiken von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft für werdende Eltern. All dies führt dazu, dass viele an FASD erkrankte Kinder ohne (korrekte) Diagnose sowie passende Unterstützung und Förderung aufwachsen. Ihre Symptomatik wird häufig nicht verstanden. Sie werden sozial stigmatisiert, scheitern in vielen Lebenslagen, und haben eine schlechtere Prognose. FASD als relevantes Gesundheitsproblem bleibt demnach oft im Verborgenen.
Wie kann die Fetale Alkoholspektrumstörung (FASD) verhindert werden?
Die Entwicklung einer FASD kann vollständig vermieden werden, indem während der gesamten Schwangerschaft konsequent auf Alkohol verzichtet wird. Es gibt keinen Zeitpunkt während der Schwangerschaft und keine Alkoholmenge, die als unbedenklich für das ungeborene Kind gilt [5-7]. Auch in der Phase, in der eine Schwangerschaft noch nicht sicher festgestellt wurde, ist besondere Vorsicht geboten. Sobald die Möglichkeit einer Schwangerschaft besteht, sollte daher Alkoholabstinenz angestrebt werden. Wichtig: selbst wenn in der Schwangerschaft bereits Alkohol konsumiert wurde, ist es noch nicht zu spät, das Risiko für FASD (zumindest) zu senken. Je weniger Alkohol von einer Schwangeren zu sich genommen wird, desto geringer ist das Risiko für das Kind, eine FASD zu entwickeln.
Wo finden Schwangere Unterstützung?
Schwangere, die unsicher im Umgang mit Alkohol sind oder Unterstützung beim Verzicht benötigen, finden Hilfe bei ihren Ärztinnen und Ärzten, Hebammen sowie bei Schwangerschaftsberatungsstellen (z. B. Pro Familia, Caritas, Diakonie) und Suchtberatungsstellen. Auch online sind zahlreiche Angebote zu finden. So bietet das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit in Kooperation mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung e. V. sowohl das online-Programm „IRIS“ an, das Frauen unterstützt rauch- und alkoholfrei durch Schwangerschaft und Stillzeit zu kommen (www.iris-plattform.de), als auch das Informationsportal „Alkohol? Kenn dein Limit“, das über Alkoholkonsum aufklärt und Anleitungen zum Alkoholverzicht bereitstellt (www.kenn-dein-limit.de). Anonyme Telefonhotlines können ebenfalls genutzt werden. Die „Sucht & Drogen Hotline“ bietet z. B. telefonische Beratung durch erfahrene Fachkräfte und ist bundesweit unter der Telefonnummer 01806 313031 erreichbar (kostenpflichtiges Angebot der Drogennotrufe aus Frankfurt und München unter der Schirmherrschaft des Drogenbeauftragten der Bundesregierung).
Wichtig: Unterstützung für die zukünftigen Eltern ist jederzeit möglich – und jeder alkoholfreie Tag zählt für die gesunde Entwicklung des Kindes.
Wo gibt es weitere Informationen zur Fetalen Alkoholspektrumstörung (FASD)?
Das Deutsche FASD KOMPETENZZENTRUM Bayern bietet auf seiner Website inhaltlich ärztlich geprüfte und damit verlässliche und ausführliche Informationen zu FASD an (www.deutsches-fasd-kompetenzzentrum-bayern.de). Zusätzlich klärt es über soziale Netzwerke wie Instagram („fasd_kompetenzzentrum“) und Facebook („Deutsches FASD Kompetenzzentrum Bayern“) über das Krankheitsbild auf und beantwortet eingehende Fragen. In seiner App „Fit für dein Kind?“ können Nutzer*innen außerdem prüfen, wie viel sie über eine gesunde Schwangerschaft und die Gefahren von Alkohol auf das ungeborene Kind wissen (iOS und Android). Weitere Informationen sind auch auf der Website der Patientenvertretung FASD Deutschland e. V. (www.fasd-deutschland.de) zu finden. Eine online verfügbare, leicht verständliche Patientenleitlinie erklärt die wichtigsten Inhalte der medizinischen S3-Leitlinie zu FASD in alltagsnaher Sprache – eine gute Informationsquelle für Eltern und Bezugspersonen von Kindern mit FASD (https://register.awmf.org/assets/guidelines/022-025p1_S3_Fetale-Alkoholspektrumstoerungen-FASD-Kinder-Jugendliche-Diagnostik-Intervention_2025-06.pdf).
Autorinnen: Sonja Strieker M.Sc.1 & Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Mirjam N. Landgraf 1
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1 LMU Zentrum für Entwicklung und komplex chronisch kranke Kinder – iSPZ Hauner MUC, Dr. von Haunersches Kinderspital, LMU Klinikum München
Quellen:
1. Robert-Koch-Institut. GEDA – Studie zur Gesundheit in Deutschland des Robert Koch Instituts.: Deutscher Bundestag; 2012 27.06.2025. Verfügbar unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/033/1803378.pdf (abgerufen am: 27.06.2025).
2. AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.). S3-Leitlinie Fetale Alkoholspektrumstörungen (FASD) bei Kindern und Jugendlichen – Diagnostik & Intervention – Living Guideline: AWMF-Register; 2025 27.06.2025. Verfügbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/022-025 (abgerufen am: 27.06.2025).
3. Lange S, Probst C, Gmel G, Rehm J, Burd L, Popova S. Global Prevalence of Fetal Alcohol Spectrum Disorder Among Children and Youth. JAMA Pediatrics. 2017;171(10):948.
4. Kraus L, Seitz N-N, Shield KD, Gmel G, Rehm J. Quantifying harms to others due to alcohol consumption in Germany: a register-based study. BMC Medicine. 2019;17(1).
5. Hoyme HE, Kalberg WO, Elliott AJ, Blankenship J, Buckley D, Marais AS, et al. Updated Clinical Guidelines for Diagnosing Fetal Alcohol Spectrum Disorders. Pediatrics. 2016;138(2).
6. British Medical Association (BMA). Alcohol and pregnancy: Preventing and managing fetal alcohol spectrum disorders London: BMA; 2016 27.06.2025. Verfügbar unter: https://www.bma.org.uk/media/2082/fetal-alcohol-spectrum-disorders-report-feb2016.pdf (abgerufen am: 27.06.2025).
7. Jonsson E, Salmon A, Warren KR. The international charter on prevention of fetal alcohol spectrum disorder. The Lancet Global Health. 2014;2(3):e135-e7.