Der Chromosomen-Bluttest auf Kasse – warum sich das noch hinzieht

Päarchen schaut nachdenklich auf See

Ein Kommentar über dünnen Kaffee und die Kosten der Inklusion

Eigentlich soll der längst bekannte und bewährte Bluttest, um bestimmte Chromosomenveränderungen des Babys zu finden, von den Krankenkassen bezahlt werden. Und eigentlich soll das bis zum Sommer 2021 klappen und eingeführt werden.

Denn Frauen, die ein höheres Risiko für solche genetischen Veränderungen haben, bekommen jetzt schon – und zwar seit Jahrzehnten – von den Krankenkassen die Untersuchung der kindlichen Chromosomen bezahlt. Nur muss dafür bisher eine Punktion durch die Bauchdecke gemacht werden, um Zellen mit den Chromosomen des ungeborenen Babys zu gewinnen, was unangenehm ist und in extrem seltenen Fällen auch zu einer Fehlgeburt führen kann. Werden in einer Untersuchung aus einer Blutprobe der Mutter, bei dem genetische Spuren des Babys untersucht werden – genannt NIPT = Non-Invasiver Pränatal-Test –, keine kindlichen Chromosomenveränderung gefunden, dann kann man sich die Punktion sparen.

NIPT ist sinnvoll ab 35 und bei genetischen Risiken

Wenn die Mutter schon über 35 Jahre ist, oder wenn in der Familie der Eltern bereits Chromosomen-Veränderungen aufgetreten sind, kann es deshalb durchaus sinnvoll sein, den Bluttest vor der Punktion durchzuführen. Bis heute bezahlen die Frauen den Test in aller Regel aber selbst. Auch jüngere Frauen möchten eine solche Untersuchung manchmal durchführen lassen, obwohl zum Beispiel eine Trisomie 21, ein dreifacher Chromosomensatz des Chromosoms Nummer 21, bei Schwangeren im Alter von 20 Jahren nur bei einer von 1100 Frauen vorkommt.

Das Problem bei der Trisomie 21 ist, dass es dafür keine Behandlung gibt, die zum Beispiel vor der Geburt möglich wäre und die Situation des Kindes verbessern könnte. Viele Eltern wollen eigentlich nur wissen, dass ihr Baby gesund ist – wobei der Bluttest nur einen winzigen Ausschnitt der vielen möglich vorgeburtlichen Schäden zeigen kann und auch zusätzlich noch durch eine Punktion bestätigt werden muss. Liegt dann aber eine Trisomie vor, dann mag das im ersten Moment einfach nur ein Schreck sein, weil Kinder mit einer Trisomie 21 auf vielfältige Weise anders sind als Kinder ohne diese Chromosomenvariante. Es wird dann aber im zweiten Schritt immer um die Frage gehen, ob die Eltern das Kind bekommen wollen, so wie es ist, oder ob die Schwangerschaft abgebrochen werden soll. Da die Schwangerschaft dann schon mehr als 12 Wochen fortgeschritten ist, braucht es dafür eine Begründung. Dies Begründung lautet dann nicht „Abbruch, weil das Kind behindert sein wird“ – das ist gesetzlich untersagt. Sondern der Abbruch würde vorgenommen, weil „für die Schwangere Lebensgefahr oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes besteht“, so der Text des § 218 im Strafgesetzbuch. Man schätzt, dass sich neun von zehn Eltern, bei deren Kind eine solche Diagnose gestellt wird, mit dieser Begründung gegen das Austragen entscheiden.

Der Bundestag spricht sich gegen ein Screening für alle aus

Der Bundestag hat im Jahr 2019 über den NIPT debattiert. In dieser Aussprache hat er den zuständigen Gremien den Auftrag gegeben, den NIPT zur Kassenleistung zu machen, und zwar nur für Frauen mit einem erhöhten Risiko. Der Ausschuss, der sich mit diesem Auftrag beschäftigen musste und das bis heute tut, ist ein sehr mächtiges Gremium. Er entscheidet, welche medizinischen Verfahren unter welchen Bedingungen von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden, und welche nicht. Sein Name ist „Gemeinsamer Bundes-Ausschuss“, abgekürzt G-BA.

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Der gesetzliche Auftrag lautet „dünner Kaffee“

Das große Problem dieses Ausschusses ist, dass das Geld im Gesundheitswesen endlich ist: Für medizinische Behandlungen kann nur so viel Geld ausgegeben werden, wie da ist. Im Jahr 2019 lagen die Einnahmen der Gesetzlichen Krankenkassen, zu denen AOK, TK, DAK, Barmer, die Betriebs- und Innungskrankenkassen gehören bei 250,4 Milliarden Euro, die Ausgaben bei 251,9 Milliarden. Davon werden für die 73 Millionen Menschen, die in den gesetzlichen Kassen versichert sind, alle Arzt-, Zahnarzt- und Psychotherapie-Behandlungen, alle rezeptpflichtigen Arzneimittel, alle verordneten Heilmittel, alle Krankenhaus- und Reha-Behandlungen bezahlt, vom Frühgeborenen über den 25jährigen mit schwerem Motorradunfall bis zur Seniorin mit einem Schlaganfall, alle Geburten, alle Herzinfarkte, Krebserkrankungen, Dialysen und so weiter. Im Durchschnitt stehen den Krankenkassen 3.424 Euro pro Jahr und Person zur Verfügung beziehungsweise noch weniger, weil ja auch die Verwaltung der Krankenkassen selbst von dem Geld bezahlt werden muss. Damit kann man keine großen Sprünge machen. Die Krankenkassen haben deshalb per Gesetz nicht den Auftrag, die allerbestmögliche Medizin für alle zu bezahlen, sondern nur das, was „wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig“ ist. Das klingt ein bisschen nach einem dünnen Kaffee, und so ist es auch.

Kassenvertreter achten auf die Kosten

Aus diesem Grund arbeiten auch Vertreter der Krankenkassen entscheidend mit in dem Gemeinsamen Bundes-Ausschuss, dem ansonsten noch Vertreter der kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Krankenhäuser und der Zahnärzte und Patientenvertreter – ohne Stimmrecht – angehören. Denn die Kassenvertreter sind es, die darauf achten, dass vor lauter Begeisterung über die Möglichkeiten der modernen Medizin die Kosten nicht ins Uferlose steigen. Dabei sind nicht einzelne Krankenkassen in dem Ausschuss vertreten, sondern die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) haben einen übergeordneten Dachverband, den „GKV-Spitzenverband“. Aus diesem GKV-Spitzenverband werden Vertreter in den Gemeinsamen Bundesausschuss ensandt. Die einzelnen Krankenkassen haben selbst mit den Verfahren nicht direkt zu tun.

Was bei der NIPT herausgekommen ist, ist erst beim dritten oder vierten Hinsehen verständlich. Der GBA will nämlich den Test jetzt nicht nur zur Kassenleistung für die Frauen „mit besonderen Risiken“ machen, wie es eigentlich der Auftrag war. Er macht stattdessen die Tür ganz weit auf und sagt: „Der Test kann dann durchgeführt werden, wenn er geboten ist, um der Schwangeren eine Auseinandersetzung mit ihrer individuellen Situation hinsichtlich des Vorliegens einer Trisomie im Rahmen der ärztlichen Begleitung zu ermöglichen.“[1]

Warum dann ein überflüssiger Test für alle?

Das bedeutet letztlich, dass der Test künftig jeder Schwangeren, die ihn gerne haben möchte, als Kassenleistung zur Verfügung stehen wird. In dem Entwurf zur offiziellen Versicherten-Information, den das vom GBA beauftragte Institut für Wirtschaftlichkeit (!!!) und Qualität im Gesundheitswesen IQWIG in einem Abschlussbericht inzwischen vorgelegt hat, heißt es (auf Seite 230 des Dokuments):

„Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für einen NIPT auf Trisomie 13, 18 und 21. Dieser Test ist keine Routineuntersuchung. Die Kosten werden übernommen,
• wenn sich aus anderen Untersuchungen ein Hinweis auf eine Trisomie ergeben hat oder
• wenn eine Frau gemeinsam mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt zu der Überzeugung kommt, dass der Test in ihrer persönlichen Situation notwendig ist. Diese Situation kann entstehen, wenn die Möglichkeit einer Trisomie eine Frau so stark belastet, dass sie dies abklären lassen möchte.“

Kein Frauenarzt wird von dem Test abraten

Wasch mich, aber mach mich nicht nass? Erst kein Routinetest, aber dann kann letztlich doch jede Frau diesen Text durchführen lassen, wenn sie es möchte. Der derzeitige Entwurf für eine Versicherten-Information liest sich über weite Strecken nicht wie eine neutrale Information, sondern wie eine Empfehlung für den Test. Es ist nicht anzunehmen, dass eine Frauenärztin oder ein Frauenarzt unter diesen Umständen von der Untersuchung abraten würde. Denn wenn durch den fehlenden Test eine Trisomie übersehen würde, wäre es durchaus denkbar, dass die Eltern gegen den Arzt später einen Prozess anstrengen.

Mehr Punktionen, die komplett unnötig wären

Wenn der NIPT aber künftig bei allen Frauen durchgeführt würde, also auch bei jüngeren, die gar kein erhöhtes Risiko für Trisomien haben, würde ein neues Problem entstehen: Der Test ergibt in etwa 5 von 10.000 Fällen einen auffälligen Befund, obwohl die Chromosomen des Kindes gar nicht verändert sind. Da bei allen auffälligen Testergebnissen eine Punktion des Fruchtwassers oder der Plazenta durchgeführt werden muss, kann das insgesamt bedeuten, dass irgendwann mehr Punktionen wegen falscher NIPT-Resultate unnötig durchgeführt werden müssen als bei den Schwangeren mit den echten Risiko-Konstellationen eingespart werden.

Damit zerfällt aber das ursprüngliche Argument für die Einführung des Tests.

Wieso ist ein unnötiger Massentest wirtschaftlich?

Es ist unmöglich, dass die Vertreter des GKV-Spitzenverbandes sich das nicht alles durchgerechnet haben. Ganz abgesehen davon, dass es durch die Einführung der NIPT als Kassenleistung für alle Schwangeren vermutlich nicht weniger, sondern mehr Amniozentesen und Chorionzottenbiopsien geben würde: Bei ungefähr 750.000 Geburten könnte das – hier folgt jetzt eine persönliche Schätzung der Autorin  – möglicherweise insgesamt auf irgendetwas zwischen 200.000 und 500.000 NIPTs pro Jahr herauslaufen, mit Kosten irgendwo zwischen 100 und 250 Euro pro Test, insgesamt eine Summe zwischen 200 Millionen und 1,25 Milliarden Euro pro Jahr, die da zusätzlich anfallen würden. Wozu das?

Behandlungskosten für Kinder mit Trisomie 21 einsparen?

In einem Bericht aus dem Jahr 2018 hat das IQWIG formuliert: „Die Anwendung des Tests bei allen schwangeren Frauen würde fast alle Feten mit Trisomie 21 erkennen.“ Ganz offensichtlich rechnen die IQWIG-Autoren damit, dass sich dann fast alle Eltern gegen diese Kinder entscheiden würden.

Geht es in Wirklichkeit darum? Die lebenslangen Behandlungskosten für Menschen mit Trisomie 21 einzusparen, die erheblich höher liegen als bei Menschen ohne eine solche chromosomale Veränderung? Die Herzoperationen, jahre- oder gar lebenslange Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Hörgeräte, frühe Darmoperationen? Menschen mit Morbus Down, einer anderen Bezeichnung für die Trisomie 21, und ihre Eltern haben heute ganz andere Ansprüche an ihre Lebensqualität und Teilhabe als früher. Normaler Schulbesuch, normale Ausbildung, normaler Beruf – das alles muss aber häufig durch einen deutlich erhöhten medizinischen Aufwand gestützt werden. Will der GKV-Spitzenverband diesen Kosten aus dem Weg gehen?

Alles nochmal von vorn…

Ein Bündnis von sehr vielen Organisationen aus Medizin, Wohlfahrt und Behindertenverbänden hat Anfang März 2021 den Bundestag aufgefordert, sich noch einmal mit dem NIPT zu befassen und sich dem G-BA bei seiner Einführung der NIPT als Screening für alle in den Weg zu stellen. Man kann davon ausgehen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die Einführung der NIPT nicht so zügig zu einem Ende bringen wird wie ursprünglich geplant.

Autorin: Dr. med. Susanna Kramarz

Bild-Copyright © Jonas Weckschmied / unsplash


[1] Zusammenfassende Dokumentation Beratungsverfahren Methodenbewertung Mutterschafts-Richtlinien (Mu-RL): Nicht-invasive Pränataldiagnostik zur Bestimmung des Risikos autosomaler Trisomien 13, 18 und 21 mittels eines molekulargenetischen Tests (NIPT) für die Anwendung bei Schwangerschaften mit besonderen Risiken

Stand: 20. Dezember 2019, Seite 16/17. Zusammenfassende Dokumentation (ZD) (g-ba.de)

📅 Letzte Änderung am: 14. März 2023

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