Im dritten Teil unserer Serie „Pflanzliches – da können Sie entspannt bleiben“ ist heute das Süßholz an der Reihe.
Süßholz – nie gehört? Vorausgesetzt Sie würden in Süditalien oder an irgendeinem anderen sonnigen, warmen Platz rund ums Mittelmeer wohnen, hätten Sie die Pflanze vielleicht im Garten. Sie hat lange grüne Stiele, paarweise angeordnete Blätter und blüht im Sommer weiß oder violett. Unterirdisch bildet sie meterlange Wurzelausläufer aus, aus denen dann immer neue Pflanzen heraussprießen. Wer gegen Giersch oder Brennnesseln im Garten kämpft, weiß, was „lange Wurzelausläufer“ bedeuten. Der Fachbegriff für diese Ausläufer lautet „Rhizome“. Genau diese fingerdicken Rhizome werden im Herbst vorsichtig herausgestochen. Wenn man es richtig macht, schadet man damit der einzelnen Pflanze nicht. Denn jede Pflanze wiederum schickt eigene Wurzeln in die Tiefe.
Diese Rhizome werden gesäubert und getrocknet, und das war’s auch schon fürs Erste. Denn die Wurzelstückchen sind um ein Vielfaches süßer als Zucker. Kleine Stücke davon versüßen viele Kinder-, Yogi- und sonstige Kräutertees. Sie überlagern die Bitterstoffe in Husten- und anderen Gesundheitstees. Süßholz wird außerdem auch eine heilsame Wirkung bei Husten und Erkältung zugeschrieben. Man kann die Wurzeln aber auch zu feinen Schnipseln zerkleinern, etwas Wasser dazugeben und tagelang kurz vor dem Siedepunkt erhitzen, bis eine fast schwarze, zähe Masse entstanden ist. Dieser schwarze Sirup ist nichts anderes als rohe, ursprüngliche Lakritze. Aus zehn Kilo Süßholzwurzel entsteht etwa ein Kilo Rohlakritz. Daraus wird dann in einigen weiteren Schritten mit vielen weiteren Zutaten unsere normale Lakritze.
Inhaltsverzeichnis
Zuckersüßes aus der Wurzel
Reden wir jetzt über das süße Zeug, das in diesen Wurzeln enthalten ist. Es hat dem Süßholz seinen botanischen Namen gegeben: Er ist zusammengezogen aus „Zuckersüßes“ – glycon – und aus dem Begriff „Kriechwurzel“ – Rhizom, zusammengezogen zu Glycyrrhiza. Der natürliche Süßstoff in der Glycyrrhiza-Pflanze wird Glycyrrhizin genannt, gesprochen Glüzürrizin, und ist 50-mal süßer als Rohzucker. Im Glycyrrhizin sind zwei Zuckermoleküle zusammengebunden an einem gemeinsamen Molekülstamm.
Im Darm werden die beiden Zuckermoleküle abgelöst. Zucker und der Restbaustein werden durch die Darmwand in den Körper aufgenommen. Der Restbaustein, dessen Namen wir uns nicht merken müssen, hemmt im Körper ein Enzym, dessen Namen wir uns ebenfalls nicht merken werden. Enzyme sind dazu da, einen Stoff A durch kleine Veränderungen in einen Stoff B zu verwandeln. Der ist dann entweder weniger oder mehr oder auch anders wirksam als Stoff A. In diesem Fall wird das Enzym gehemmt, das aus der Hormon-Vorstufe Cortisol das wirksame Cortison machen würde. Im Körper steigt also vorübergehend die Konzentration von Cortisol an, die von Cortison nimmt ab.
Warum Lakritze den Blutdruck steigen lässt
Cortisol ist aber nicht nur eine Vorstufe für Cortison, sondern auch für andere Hormone, die in der Niere wirken. In der Niere wird durch diesen Effekt nun mehr Kalium ausgeschieden und mehr Wasser und Natrium zurückgehalten. Deshalb hat man früher schon festgestellt, dass zu viel Lakritze ungesund ist für Menschen, die herzkrank sind, die einen hohen Blutdruck haben oder Herzrhythmusstörungen oder die aus verschiedenen Gründen ohnehin einen zu niedrigen Kaliumspiegel im Blut haben. Denn durch die Veränderungen von Kalium und Natrium und durch das Zurückhalten von Wasser kann der Blutdruck ansteigen, und es kann zu schweren Störungen des Herzrhythmus kommen. Außerdem versucht der Körper, den Veränderungen entgegenzusteuern, was die Situation nicht besser macht.
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Süßholz – schwere Folgen beim ungeborenen Baby
So dramatisch das ist – es kommt noch schlimmer. Denn das Reststückchen des abgebauten Glycyrrhizins wirkt auch in der Plazenta und hemmt auch dort die Umwandlung von Cortisol in Cortison, das eigentlich als lebenswichtiges Hormon kontinuierlich zum Baby gelangen müsste.
Schon seit vielen Jahren hat sich eine Psychologin in Finnland mit den möglichen Auswirkungen von Lakritze-Essen auf ungeborene Babys beschäftigt. Sie begleitet insgesamt über 1000 Kinder seit ihrer Geburt im Jahr 1998. Dabei vergleicht sie diejenigen, deren Mütter in der Schwangerschaft keine Lakritze gegessen haben und diejenigen, deren Mütter in der Schwangerschaft regelmäßig und ziemlich viel Lakritze genascht haben. Vor wenigen Jahren hat sie Alarm geschlagen: Die Kinder waren inzwischen 12 Jahre alt. Die Mädchen, deren Mütter sehr viel Lakritze gegessen hatten, waren früher in die Pubertät gekommen. Sie waren drei Zentimeter größer, acht Kilogramm schwerer und hatten einen höheren BMI als die Mädchen, deren Mütter keine Lakritze gegessen hatten. Außerdem hatten die Lakritz-Kinder schon im Alter von acht Jahren eine schlechtere Konzentration, ein schlechteres Gedächtnis und eine schlechtere Schulleistung. Mit 12 Jahren war der IQ bei Mädchen und Jungen um sieben Punkte erniedrigt.
Vielleicht liegt die Grenze bei 4 Gramm Süßholz pro Woche
Das ist ganz fürchterlich. Denn kein Mensch braucht Lakritze. Sie ist lecker, aber völlig unnötig. Das Gleiche gilt für Süßholz als Zusatz in Tees oder Hustensirup.
Allgemein ist die Grenze, ab der man vermutlich mit gesundheitlichen Störungen rechnen muss, bei 500 Milligramm Glycyrrhizin pro Woche definiert, also einem halben Gramm. So haben es der Wissenschaftliche Lebensmittelausschuss der Europäischen Kommission und auch das Bundesinstitut für Risikobewertung festgelegt.
In 100 Gramm natürlicher Wurzel sind allerdings bis zu 16 Gramm Glycyrrhizin enthalten[1]. Die Grenze, um 500 Milligramm Glycyrrhizin zu erreichen, liegt also bei pi mal Daumen 4 Gramm purer Süßholzwurzel pro Woche. Bei getrockneter Wurzel – so wie es ja in Teemischungen der Fall ist –, ist die Grenze vielleicht schon mit weniger Süßholz erreicht. Ich habe dazu keine Fachliteratur gefunden.
Rechnen wir nach. In einem Teebeutel sind 1,8 Gramm Teemischung enthalten. Wenn da in den Bestandteilen Süßholz als erster Begriff steht, dann ist es derjenige mit der höchsten Konzentration. Rechnen wir mit 50%, dann wären das 0,9 Gramm Süßholz in einem Teebeutel. Mit 4 solchen Teebeuteln pro Woche würde man dann beim ungeborenen Baby schon den Hormonspiegel durcheinanderbringen. Wenn Sie losen Tee verwenden, können Sie sich das entsprechend ebenso umrechnen.
Dann doch lieber einen Löffel Honig in den Tee
Bei der Lakritze sieht es nicht ganz so dramatisch aus. 500 Milligramm Glycyrrhizin sind normalerweise in etwa 100 Gramm Lakritze enthalten. Deutlich mehr ist es nur in skandinavischer Starklakritze. Wahrscheinlich ist der Gehalt in der Lakritze niedriger als in der Wurzel selbst, weil bei dem tagelangen Sieden dann doch ein großer Teil des ungesunden Wirkstoffs kaputt gekocht wird. Wenn Sie noch einen Sicherheitsabstand einbauen, dann könnten Sie wohl mit 50 Gramm „normaler“ Lakritze – verteilt über eine ganze Woche – hoffen, dass Ihr Baby keinen Schaden nimmt.
Auf der anderen Seite – kein Mensch braucht Lakritze. Und wenn man das eine gegen das andere abwägt, braucht während der Schwangerschaft auch niemand einen Tee mit Süßholzwurzel. Dann doch lieber einen Löffel Honig in den Tee…..
[1] Glycyrrhiza glabra – PMC (nih.gov)
Autorin: Dr. med. Susanna Kramarz
Bild-Copyright © Massimo Adami / unsplash
📅 Letzte Änderung am: 23. September 2024