Stillen: Für den besten Start ins Leben – besonders für Frühgeborene

Neugeborenes Mädchen wird im Krankenhaus von Mutter gestillt

Ein Beitrag zur Welt-Stillwoche 2023 von Ina Adamek, Presse und Kommunikation, EFCNI

Seit 1991 findet jährlich im August die Welt-Stillwoche, eine von der World Alliance for Breastfeeding Action (WABA) gegründete Kampagne, statt. Ziel ist es, über die gesundheitlichen Vorteile des Stillens für Mutter und Kind aufzuklären und dem Thema Stillen Raum im öffentlichen Diskurs zu geben. Obwohl die Welt-Stillwoche offiziell immer in der ersten Augustwoche stattfindet, feiern viele Länder auch zu anderen Zeitpunkten, z.B. um deren Muttertag herum oder zu anderen individuell gewählten Daten. Deutschland feiert beispielsweise (sowie u.a. Frankreich und Italien), in Anlehnung an die 40 Wochen einer regulären Schwangerschaft, in der 40. Kalenderwoche des Jahres. Trotz unterschiedlicher Zeitpläne eint die Welt-Stillwoche alle Unterstützenden in dem Bestreben, ein Bewusstsein für die gesundheitliche Relevanz des Stillens zu entwickeln und für eine stillfreundliche Gesellschaft einzustehen.

Stillen bietet umfangreiche Vorteile für Mutter und Kind

Stillen ist gesunde Ernährung von Anfang an. Sie ist optimal an die Bedürfnisse von Säuglingen angepasst und deckt im ersten Lebenshalbjahr den Bedarf an Nährstoffen und Flüssigkeit, die für ein gesundes Heranwachsen benötigt werden. [1] Das Stillen unterstützt zudem die allgemeine Entwicklung, die Reifung des Darms sowie die Immunabwehr. So schützt Muttermilch Säuglinge vor der Entwicklung von Magen-Darm-Infektionen, wie beispielsweise einer nekrotisierenden Enterokolitis (NEC), sowie vor Atemwegsinfektionen. [2] Hier profitieren Frühgeborene besonders, da ihr Immunsystem noch sehr unausgereift ist. Die Erstmilch, die nach der Geburt des Kindes gebildet wird (auch Kolostrum genannt), enthält reichlich Antioxidantien und weist einen besonders hohen Gehalt an Antikörpern und Abwehrstoffen auf, die das Kind nach der Geburt in der nun direkten Auseinandersetzung mit seiner Umwelt benötigt. [3] Ein weiterer Vorteil von Muttermilch sind die darin enthaltenen Fette, die gut verträglich und leicht verdaulich sind. Schützende Enzyme und Hormone fördern die Reifung des Darms und unterstützen den Aufbau einer gesunden Darmflora. [4]

Darüber hinaus fördert der Körperkontakt beim Stillen die emotionale Nähe zwischen Mutter und Baby und regt die Ausschüttung des „Kuschel- und Bindungshormons“ Oxytocin an, welches für den Milcheinschuss sorgt und die Milchproduktion anregt. [5] Zudem werden Herzschlag, Sauerstoffgehalt des Blutes und die Atemfrequenz des Babys stabilisiert. Langfristig sollen Stillkinder neben einer besseren kognitiven Entwicklung auch weniger anfällig sein für die Entwicklung chronischer Erkrankungen wie Adipositas, Typ-2 Diabetes, Bluthochdruck sowie Asthma und Allergien. Frauen, die stillen, sollen in den Monaten nach der Geburt ein geringeres Risiko für die Entwicklung einer postpartalen Depression sowie langfristig für die Entwicklung von Brust- und Eierstockkrebs haben. [6]

Die European Foundation for the Care of Newborn Infants (EFCNI) beteiligt sich seit vielen Jahren an der Welt-Stillwoche mit dem Ziel, insbesondere Frühgeborenen und deren Müttern im Rahmen dieser Initiative ein Forum zu bieten. Frühgeborene Babys profitieren ganz besonders vom Stillen und der Ernährung mit Muttermilch, denn die mit einer Frühgeburt verbundene körperliche Unreife bedingt unter anderem Regulationsstörungen des Gehirns und des Darms und eine Ernährung mit Muttermilch verringert das Risiko für das Auftreten solcher Komplikationen. Dennoch können physiologische Bedingungen eine Hürde beim Stillen darstellen. So sind Frühgeborene oftmals körperlich (noch) nicht in der Lage gestillt zu werden, da sie zum Beispiel das Saugen und Schlucken noch nicht koordinieren können oder ihr Verdauungssystem unausgereift ist, weshalb Nahrung über eine Sonde verabreicht werden muss. Mütter von Frühgeborenen wissen oft nicht, dass und wie sie ihr Frühgeborenes dennoch mit Muttermilch versorgen können. Ein Mangel an angemessenen Informationen, fehlende Unterstützung oder emotionaler Druck, sei es durch die Familie, die Gesellschaft oder durch die eigene Erwartungshaltung, können das Stillen ebenso erschweren. Eine umfassende Still- und Laktationsberatung, die auch die Möglichkeiten einer Ernährung durch Spenderinnenmilch oder spezielle Frühgeborenen-Formula in Betracht zieht, kann Eltern entlasten und Druck abbauen.

Stillen: Zwischen Erwartung und Realität

Trotz der umfassenden Vorteile, die das Stillen für Mutter und Kind birgt – die Stillraten in Deutschland bewegen sich im europäischen Vergleich seit Jahrzehnten auf einem konstant niedrigen Niveau. Vier von fünf Müttern beginnen zwar direkt nach der Geburt eines Kindes zu stillen, nach vier Monaten werden aber nur noch ein Drittel der Kinder ausschließlich mit Muttermilch ernährt. [7] Dagegen füttern weltweit immer mehr Frauen ihre Kinder mit Milchersatzprodukten. Noch nie wurden mehr Säuglinge und Kleinkinder mit Formula Nahrung versorgt als heute. Weniger als 50% der Babys weltweit werden gemäß den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) ernährt, die das ausschließliche Stillen aller Babys unter sechs Monaten anrät. [8,9] Die tatsächlichen Stillraten lassen vermuten, dass Mütter mehr Unterstützung benötigen, denn Stillen ist kein Selbstläufer, sondern ein Prozess.

So individuell sich kleinste Frühgeborene entwickeln, so individuell ist auch ihr Weg zum Stillen. Der Stillbeginn bei Frühgeborenen ist sehr unterschiedlich, ausgehend von Gestationsalter, Gewicht und Allgemeinzustand, und der Weg zum ausschließlichen Stillen ist je nach Mutter und Kind sehr lang. Es kann „Rückschritte“ geben, indem sondiert oder zugefüttert werden muss, z.B. wenn das Kind aufgrund einer Erkrankung oder Operation nicht gestillt werden kann. Insbesondere nach einer Frühgeburt wird der Stillbeginn oder das Abpumpen häufig verzögert, da die Milchproduktion oft nicht gleich in Gang kommt. Für Mütter können je nach Geburtsverlauf postoperative Schmerzen oder Medikamenteneinnahme den Stillprozess zusätzlich erschweren. Weitere Einflussfaktoren sind Angst und Unsicherheit bei der Versorgung des Frühgeborenen, die beispielsweise aufgrund einer räumlichen Trennung oder der Ungewissheit hinsichtlich der weiteren gesundheitlichen Entwicklung des Babys entstehen können. [10]

Frügeborenes beim Känguruhen erhält Nahrung über eine Sonde

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Strategien für die Entwicklung stillfreundlicher Rahmenbedingungen in der Gesellschaft

Die Stillbeziehung bei Frühgeborenen beginnt in der Regel mit Hautkontakt im Inkubator und anschließendem Känguruhen, dem direkten Haut-zu-Haut Kontakt zwischen Mutter und Baby. Die Säuglinge lernen die Brust beim Kuscheln kennen und tasten sich an das Stillen durch Lecken, Saugen und Erfassen der Brust heran. Da die durch das Känguruhen initiierte Oxytocin-Ausschüttung zu einer Anregung der Milchproduktion führt, trägt das Känguruhen daher entscheidend zur Initiierung und dauerhaften Etablierung des Stillens bei. Um den Haut-zu-Haut Kontakt und somit auch das Stillen zu ermöglichen, müssen jedoch entsprechende Rahmenbedingungen auf unterschiedlichen Ebenen geschaffen werden. Denn wie erfolgreich der Stillstart ist und wie lange die Kinder gestillt werden, hängt in der Praxis von zahlreichen Faktoren ab.

Auf der individuellen Ebene ist die Einstellung der Mutter und ihres familiären Umfelds zum Stillen entscheidend. Zudem kann das größere soziale Umfeld mehr oder weniger stillfreundlich sein. Dazu gehören die Einstellungen im Freundes- und Kollegenkreis und inwiefern das Stillen im eigenen Lebenskontext akzeptiert wird. Dauerhaft angelegte und öffentlichkeitswirksame Interventionen können dazu beitragen, die öffentliche Meinung zu bilden und hinsichtlich pro Stillen zu verändern. Stillkampagnen, die auf Basis einer zielgruppengerechten Kommunikation nicht nur Mütter, sondern Bevölkerungsgruppen auf allen Ebenen adressieren, können die Akzeptanz des gesellschaftlich nach wie vor kontrovers diskutierten Themas des Stillens in der Öffentlichkeit steigern. Prominente Testimonials, die sich als öffentliche Fürsprecher für das Stillen einsetzen, können dazu beitragen, das Thema zu entstigmatisieren und das Verständnis gegenüber stillenden Frauen zu erhöhen.

Stillfördernde Maßnahmen sind dann besonders erfolgversprechend, wenn sie die gesamte soziale Ebene berücksichtigen. Die Etablierung von stillfreundlichen Räumen in der Öffentlichkeit kann den Grundstein für Akzeptanz und verbesserte Rahmenbedingungen des Stillens im Alltag legen. Durch stillfreundliche Orte und Hilfsangebote, wie zum Beispiel Still- und Familiencafés, kann Stillpraxis erlebt und gelebt und die Vernetzung von Müttern gefördert werden. Auch sollte das Stillen in der Arbeitswelt sowie im Bildungs- und Ausbildungsbereich unterstützt werden, um Müttern, die kurz nach der Geburt an den Arbeitsplatz zurückkehren, aber auch Studentinnen, Auszubildenden und Schülerinnen das Stillen zu ermöglichen. Hierfür wäre es hilfreich, wenn über die rechtlichen Bedingungen des Mutterschutzes hinaus bestimmte strukturelle Voraussetzungen in Betrieben und (Bildungs-) Einrichtungen etabliert bzw. ausgebaut werden könnten, beispielsweise ansprechend gestaltete Räumlichkeiten, die nicht nur das Stillen an sich, sondern auch das Abpumpen und die Lagerung von Muttermilch ermöglichen.

Zur strukturellen Ebene zählen die konkreten Unterstützungsangebote und Versorgungsstrukturen, die den Müttern das Stillen erleichtern. Im medizinischen Umfeld sollte sichergestellt werden, dass eine familienzentrierte Pflege ermöglicht wird, indem Mütter uneingeschränkten Zugang zu ihren Kindern haben und Verantwortung bei der Pflege und Betreuung übernehmen können. Ebenso gilt es, flächendeckend kompetente Stillberatungen, die die unterschiedlichen Bedürfnisse von Frauen ansprechen und diesen einfühlsam und urteilsfrei beratend zur Seite stehen, zu etablieren. Eine gute Vernetzung und Kommunikation zwischen Laktationsberatenden und medizinischem Personal ist zudem hilfreich, um die ganzheitliche (Nach-) Betreuung und Beratung der Mutter nicht aus dem Auge zu verlieren. [11,12]

Stillförderung ist eine gesamtgesellschaftliche und sektorenübergreifende Aufgabe. Daher hat die EFCNI zur diesjährigen Welt-Stillwoche die Förderung stillfreundlicher gesellschaftlicher Rahmenbedingungen in den Fokus ihrer Kampagne gerückt. Unter dem Motto „Protect and promote breastfeeding for the best start in life“ (zu Deutsch “Stillen schützen und fördern für den besten Start ins Leben“) wird sich in der ersten Augustwoche das globale Netzwerk der Stiftung in 25 Sprachen für Stillförderung, Aufklärung und praktische Hilfe für Mütter und Babys stark machen. Materialien zur Kampagne sind hier zum Download verfügbar: https://www.efcni.org/activities/campaigns/world-breastfeeding-week/

Welt-Stillwoche 2023: Stillen schützen und fördern für den besten Start ins Leben

Stillen fördern auf Basis einer informierten Entscheidung

Muttermilch ist die beste Wahl für jedes Baby, ob früh- oder termingeboren und es gilt, nicht nur Mütter selbst, sondern die gesamte Gesellschaft umfassend über die Vorteile des Stillens für Mutter und Kind aufzuklären, um langfristig ein stillfreundliches Klima in allen Lebensbereichen zu etablieren. Dennoch ist und bleibt das Stillen eine intime und persönliche Entscheidung jeder Frau und es gibt, insbesondere nach einer Frühgeburt, ganz verschiedene Gründe, warum Frauen nicht stillen wollen oder können. Mütter sollten jedoch ermutigt werden, auf Grundlage einer informierten Entscheidung zu handeln. Dies setzt voraus, dass sie vorab umfassend, kompetent und urteilsfrei beraten werden und auch bei einer alternativen Entscheidung, wie beispielsweise für das Abpumpen oder die Gabe von Formula-Nahrung, empathisch unterstützt werden. Die Kommunikation sollte stets von Unterstützung und Verständnis geprägt sein. Jede Frau soll für sich und ihr Baby ihren Weg finden. Zur Welt-Stillwoche möchten wir Partner, Familie, Freundinnen und Freunde, Hebammen und Laktationsberatende dazu ermutigen, Wegbegleitende zu sein.

Autorin: Ina Adamek, Presse und Kommunikation, EFCNI
Bild-Copyrights © Pexels/Jonathan Borba (Beitragsbild), Quirin Leppert und EFCNI/GLANCE

Referenzen:
[1] Max-Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel. (2023). Nationale Stillkommission. https://www.mri.bund.de/de/themen/nationale-stillkommission/ (26.07.2023).
[2] EFCNI, Manzoni P, Hogeveen M et al. (2022). European Standards of Care for Newborn Health: Prevention of necrotising enterocolitis (NEC).
[3] Prof. Dr. Hans-Peter Buscher Facharztwissen, medicoconsult.de. (2023). Muttermilch. Facharztwissen medicoconsult.de. https://www.medicoconsult.de/Stillen_mit_Muttermilch/#Kolostrum (26.07.2023).
[4] Europäisches Institut für Stillen und Laktation. (2022). Frühgeborene und Stillen. https://www.stillen-institut.com/de/stillmanagement-bei-fruehgeborenen.html (26.07.2023).
[5] Europäisches Institut für Stillen und Laktation. (2021). Bindung und Stillen. https://www.stillen-institut.com/de/bindung-und-stillen.html (26.07.2023).
[6] EFCNI. (2020). Stillen von Frühgeborenen. https://www.efcni.org/wp-content/uploads/2020/02/2020_02_19_Factsheet_BreastfeedingOfPretermBabies_deutsch_3rd-edition_Web.pdf (26.07.2023).
[7] Bundeszentrum für Ernährung (BZfE). (2018). Wie stillfreundlich ist Deutschland? Internationales Forschungsprojekt untersucht Einflussfaktoren auf das Stillen. https://www.gesund-ins-leben.de/fileadmin/resources/import/pdf/faktenblatt_stillen_in_deutschland.pdf (26.07.2023).
[8] Doherty, T., Horwood, C., Pereira-Kotze, C., Du Plessis, L., Witten, C. (2023). Stemming commercial milk formula marketing: now is the time for radical transformation to build resilience for breastfeeding, The Lancet, 2023 (401), 415-418.
[9] World Health Organization (WHO). (2023). Breastfeeding. https://www.who.int/health-topics/breastfeeding#tab=tab_1 (26.07.2023).
[10] Europäisches Institut für Stillen und Laktation. (2022). Frühgeborene und Stillen. https://www.stillen-institut.com/de/stillmanagement-bei-fruehgeborenen.html (26.07.2023).
[11] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). (2021). Nationale Strategie zur Stillförderung. BMEL. https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/nationale-stillstrategie.pdf?__blob=publicationFile&v=10 (26.07.2023).
[12] Kämmerer, B. (2004). Stillberatung in der Klinik, Stillzeit. Die Fachzeitschrift der Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen Bundesverband e.V., 2004 (4), 5-7.

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